A Bigger Splash into Culture Clash – PROTOPLAST, The Pool & Rheinkasematten, Düsseldorf
Category:
art blog
By:
Nicolas Stiller
Date:
March 22, 2023
Büro für kunstbezogene Rezeptionsästhetik in Düsseldorf
Natürlich kann man sich angesichts eines unablässig auf entsprechende Wahrnehmungskanäle einwirkenden Medienaufkommens wie jenes rund um das aktuelle Reizthema kultureller Aneignung noch etwas tiefer in den hintersten Winkel seiner eigenen Filterblase hineindrücken lassen, wobei man auch die Frage, ob und wie man aus Selbiger wieder herauskommt, bestenfalls nicht ganz außer Acht lassen sollte, zumal heillos zugespitzte Dichotomien und kognitive Verzerrungen einander gerne befördern und ihr Übriges zur sprichwörtlichen Vertiefung der Gräben tun. Leistet man sich hingegen den gedanklichen Luxus, sich entgegen einer kategorischen Parteinahme für Team A oder Team B der Überlegung zuzuwenden, was da eigentlich geschieht, tun sich ganze Regalmeter auf, deren nähere Erkundung eine Bandbreite an probaten Herangehensweisen zu Tage fördert. Gesetzt der Tatsache, dass es sich bei der eingangs erwähnten Problematik um eine kultursoziologische handelt und dass es sich im Interesse an einer möglichst qualifizierten Partizipation an solchen empfiehlt, als allererstes die eigenen, wiederum kultursoziologisch bedingten Scheukappen abzuwerfen, erscheint die von einigen Soziologen praktizierte Methode, sich selbst als kleine Figur inmitten komplexer Zusammenhänge zu sehen, als nachahmenswert.1 Folgt man der damit einhergehenden Maßgabe, die Augen offen zu halten, stellt man zunächst fest, dass insbesondere vieles von dem, was einem medienmäßig entgegenschwappt, auf einer Vermainstreamung ehedem subkultureller Einflüsse beruht – Heidi-Klum-Juroren tragen Ramones-T-Shirts, wohlbehütete Mittelstandskinder rappen vom harten Leben auf der Strasse und der CDU-Bundesvorstand singt einen Song der Toten Hosen.2 Eingedenk der lapidaren Beobachtung, dass kulturelle Aneignung etwas ziemlich Allgegenwärtiges ist, ließe sich auch die Frage nach einem diesbezüglichen Für und Wider im Hinblick darauf spezifizieren, von wem und unter welchen Umständen über deren Legitimität befunden wird.
Ähnlich wie im Bereich der Massenkultur macht sich auch die Frage danach, welchen bildnerisch-künstlerischen Strömungen ein soziokulturelles Upgrade vorbehalten bleibt, an einer Kategorie von Entscheidungsträgern fest, welche, entsprechend ihrer Befugnis, einen Aufstieg in elitäre Kreise zu gewähren oder zu verwehren, als „Gatekeepers“ bezeichnet werden. Neben der Neuentstehung der NFTs als künstlerischer Gattung hat eine diesbezügliche Neuausrichtung von bis auf Weiteres nachhaltiger Größenordnung zuletzt im Zusammenhang mit dem vielerorts abgefeierten „Siegeszug“ der Streetart und Urban Art stattgefunden und zugleich ein neues rezeptionsästhetisches Kapitel aufgeschlagen. Passend dazu, dass die von Myriaden nicht unbedingt hochkunstaffiner Instagrammerinnen und Instagrammern zum virulenten Zeitgeistphänomen erhobenen Hervorbringungen in diesem Bereich gemeinhin als zeitgenössische Spielart der Volkskunst zu qualifizieren seien und dass die Grenzziehung zwischen U- und E-Kultur gerade in Deutschland vergleichsweise pedantisch praktiziert wird, ist auch eine damit einhergehende Neuverhandlung kunstsoziologischer Konventionen zum Gegenstand wissenschaftlicher Expertisen avanciert. So zeigen mitunter minutiös verfasste Fachpublikationen das Bild einer undurchschaubaren Gemengelage ineinander verhakter Aneignungs- und Abgrenzungstendenzen auf, welche letztendlich auf eine reißbrettartige Evaluierung innerhalb bestehender Hierarchien hinausläuft.3
Wie sich derlei abstrakte Sachverhalte in der Praxis niederschlagen, ließ sich zuletzt exemplarisch in Düsseldorf nachvollziehen; zeitgleich zur großen Mondrian-Retrospektive im K20 wurde im Kunstforum NRW eine nicht erst seit Kurzem etablierte Spitzenauswahl internationaler Streetart- und Urban-Art-Positionen in einer Ausstellung zusammengefasst. Zu den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern, die sich zu diesem Anlass dort eingefunden haben, gehörten auch drei aus ihrer Heimatstadt Basel angereiste Personen, die ihre Namen in der Öffentlichkeit lieber für sich behalten und aus denen sich die 1990 gegründete „Kunstfirma und Aktionsgesellschaft“ PROTOPLAST zusammensetzt. Ausschlaggebender Grund, sich rheinabwärts zu begeben, war die Präsentation einer größeren Zahl ihrer neueren Werke, die derzeit an den Rheinkasematten wie auch im 2021 eröffneten Offspace the pool zu besichtigen sind. Naturgemäß lässt sich die Frage danach, was oder wer jemand ist im Falle seiner oder ihrer persönlichen Nichtidentifizierbarkeit bestenfalls daran festmachen, was diese Person oder Personen tun, wobei eine auf derlei Zuschreibungen beruhende Charakterisierung des hier vorzustellenden Kollektivs in einer zwischen allen Stühlen zu verortenden Programmatik zu begründen wäre; weder scheint man gesteigerten Wert darauf zu legen, die eigene Anonymität als besonderes Faszinosum zum Gegenstand medienwirksamer Inszenierung zu machen, noch hat man sich im Zuge einer langjährigen Tätigkeit eine ewig wiedererkennbare Handschrift, welche wiederum auf Anhieb mit dem verwendeten Pseudonym in Verbindung zu bringen wäre, angeeignet. So ergibt sich vor dem Hintergrund früherer Werkphasen, welche von aktions- und medienkünstlerischen Projekten bestimmt waren und auch online dokumentiert sind, das Bild eines in viele Richtungen offenen bisherigen Gesamtwerks.
Dass sich in der gemeinsamen Zusammenarbeit auch nach einer vor einigen Jahren erfolgten Neufestlegung auf traditionelle Werkstoffe einiges an Freiheiten auftut, ist etwas, wovon sich hiesige Kunstguckerinnen und -gucker anlässlich der nun von Heinke Haberland kuratierten Ausstellung vergewissern können: Neben einiger Wheatpastes, sprich großer, auf die Wände tapezierter Papierarbeiten, erwarten einen dabei Ölbilder und bemalte Objekte angesichts derer sich eine überbordende figurative Motivik offenbart. Von grimassierenden Riesengesichtern über eine sich nahezu über die gesamte Längsseite des ehemaligen Schwimmbeckens erstreckende Tierkarawane bis hin zu einem in kurzen Hosen von einer Heimwerkerleiter herabstürzenden Herrn herrscht hier anarchische Betriebsamkeit. Alles eskaliert nach jeweils eigener Manier oder scheint einem etwaigen Kontrollverlust lustvoll entgegen zu taumeln. Einem besonderen Sinn für Materialgerechtigkeit Rechnung tragend korrespondiert die papierene Beschaffenheit der Bildträger mit den kunstvoll ins Dreidimensionale geknickten und gefalteten Gestalten, so dass beides ununterscheidbar wird und alles wie einmal durch die Mangel gedreht erscheint. Ohne in allzu dezidierte Richtungen zu weisen, tun sich im Zusammenspiel aus leicht ramponierter Optik, greller Farbigkeit und ungestümer Expressivität ein paar ikonographische Bezugsmöglichkeiten auf. Gerade im Kontext der unter architektonischen Gesichtspunkten hervorhebenswerten Räumlichkeiten, bei welchen es sich früher um ein privates Schwimmbad im Untergeschoss eines Paul-Schneider-Esleben-Baus gehandelt hat, mögen einige an ein zeitgemäßes Mash-up manieristischer Fresken wie beispielsweise Giulio Romanos Gigantensturz denken. Nicht weniger ließe sich eine amorphe Körperlichkeit, die im Zuge einer Gesamtschau des hier Gezeigten verschiedentlich ins Auge fällt, mit der Motivik eines Francis Bacon in Abgleich bringen. Viel mehr als in einer diesbezüglichen Konkretisierbarkeit scheint der eigentlich rote Faden aber im bricolageartigen Zusammenfügen disparater formensprachlicher Fragmente zu bestehen, welches nebst sprachspielerisch dahinassoziierter Werktitel ausreichend Luft für interpretatorische Alleingänge lässt.
Gleichwohl sich, wie generell angesichts genuin-originärer Positionen, also der eine oder andere Berührungspunkt aufzeigen lässt, verlaufen sich Versuche, das hier Aufgeführte mittels kunsthistorischer Referenzen gänzlich in gängige Kategorien zu pressen, im Ungefähren. Ebenso wenig lässt sich in diesem Zusammenhang eine Zugehörigkeit zu Varianten der Streetart und Urban Art ausmachen, welche, gleich einer Umkehrung einer vorgeblich für sie reklamierten Bewandtnis, immer mehr als illustratives Beiwerk einer urbanen Gentrifizierungsprogrammatik zu Tage treten. „Vielleicht“ – so eine*r der Protoplast-Protagonist*innen – „schreibt man am Besten über uns, indem man schreibt, was wir alles nicht sind.“4 So kann auch die Überlegung, was die hier gezeigten Exponate aus welchem Grund nicht sind, zu interessanten und je nach subjektiver Verfasstheit in unterschiedliche Regionen führenden Gedankenausflügen einladen. Wer an Debatten um gecancelte Dreadlockträgerinnen oder Ähnlichem keinen Anteil nimmt, muss es dessen ungeachtet nicht als weniger redundant empfinden, wenn eine antibürgerliche Ästhetik vergangener Dekaden respektive stereotypisierender Darstellungen einer etwaigen „Straßenkultur“ allenthalben in sämtliche Bereiche einer bürgerlichen Gesellschaft kanalisiert werden. Gleichwohl sich im Umkehrschluss aus einer derartigen Sicht der Dinge ein umso besserer Grund für den Besuch dieser Ausstellung ableiten lässt, stellt der hier geschnürte Rucksack an kulturkritischen Implikationen per se kein zwingendes Erfordernis dar, um sich die protoplastischen Artefakte mal anzugucken.
PROTOPLAST
3. März – 9. April 2023
the pool
Tersteegenstrasse 63
40474 Düsseldorf
Öffnungszeiten:
Freitag bis Sonntag 14 – 19 Uhr
und nach individuelle Absprache
Fußnoten
- Die Einsicht, dass Soziologen auch nur Menschen und als solche nicht grundsätzlich vor berufsbedingter Betriebsblindheit gefeit sind, hat den als entscheidenden Neubegründer seiner Disziplin geltenden Soziologen Niklas Luhmann dazu bewogen, die hier rudimentär zurate gezogene Denkfigur des sogenannten Re-Entry als springenden Punkt seiner als Luhmannsche Systemtheorie bekannt gewordenen Gesamtkonzeption zu kreieren und einzubeziehen. Eine prägnante Erläuterung dieser dialektischen Begrifflichkeit findet sich hier.
- Vgl. Baumgarten, Stephanie: Freiheit als Ziel: (Sub)kulturelle Erscheinungsformen in Zeiten von neoliberaler Individualisierungstendenzen, Masterarbeit am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck 2018, einsehbar über die Online-Bibliothek der Universität Innsbruck.
- Vgl. Schneickert, Christian und Schumacher, Florian: Graffiti-Writing als Distinktion von ›unten‹. Zum Verhältnis von sozialem Raum, subkulturellen Feldern und legitimer Kultur, in: Danko, Dagmar (Hrsg.)/ Moeschler, Olivier (Hrsg.)/ Schumacher, Florian (Hrsg.): Kunst und Öffentlichkeit, Wiesbaden 2014, S. 211–234.
- Die hier zitierte Aussage ist einer angeregten Konversation entnommen, welche am 13.3.23 über Videocall mit den drei Mitgliedern der Gruppe geführt wurde.