Basler Zeitung

Category:

Feuilleton

By:

Mélanie Honegger (BaZ)

Date:

January 15, 2025

26 Jahre waren genug. So lange gestaltete der Elsässer Künstler René Noël die Wand im Manger & Boire in der Basler Innenstadt. Zuletzt hatte er ein Bild im Stile Henri Rousseaus gemalt – und damit auch kritische Reaktionen ausgelöst. So störten sich einige Personen aus der Genossenschaft Manger an der Bildsprache, die ihrer Meinung nachsexistische und rassistische Motive beinhalte. 

Konkret ging es um ein Mischwesen, halb Frau, halb Katze – sowie um die Tatsache, dass in Rousseaus Original «Le rêve» eine dunkelhäutige Person einer weissen Person Musik vorspielt. Das Kollektiv wolle die Wand künftig regelmässig neu bemalen lassen, teilte es damals mit.

Jetzt ist Noëls Bild weg. Statt einer Dschungellandschaft zieren seit Mitte Dezember abstrakte Gemüsemuster die Wand – und der Raum wirkt aufgrund des hellblauen Hintergrunds plötzlich viel heller. 

Hinter dem neuen Kunstwerk steckt das Basler Kollektiv Protoplast. Es hat sich in einem Auswahlverfahren gegen neun andere Mitbewerber durchgesetzt. Noch bis Ende März wird das Kunstwerk im Restaurant zu sehen sein, bevor es erneut übermalt wird.

Seit 35 Jahren ist das Basler Künstlerkollektiv tätig. Die drei Personen dahinter wollen anonym bleiben und sind meist nur an ihren schwarzen Koffern erkennbar, die sie immer bei sich tragen. «Wir wollen einfach diskret arbeiten und nicht die Sicht auf die Werke nehmen. Es wird allgemein zuviel Personenkult betrieben», sagt eines der Mitglieder.

Inhaltlich haben die Restaurantbetreiber trotz der vorangegangenen Diskussionen keine Vorgaben definiert. «Die Kritik wurde ja vor allem von aussen an die Genossenschaft herangetragen», sagt Benjamin Kammüller, der beim Restaurant für die Ausstellung zuständig ist. «Wir würden auch nackte Menschen zeigen, wenn uns das Konzept künstlerisch überzeugen würde.» 

Passend zur Umgebung des Restaurants hat sich das Künstlerkollektiv im Fall des Manger & Boire für eine Wand mit Essens- und Getränkemotiven entschieden. Alkoholfreie Spirituosen, Gemüsesorten und Korkenzieher sind darauf abgebildet. Wer die Kunst von Protoplast kennt, dürfte ob der lieblichen Farben und Motive erstaunt sein – bisher hat sich das Kollektiv durch eher düstere Spielereien ausgezeichnet.

Der Bezug zum Ort und zur vegetarischen Küche war schliesslich auch ausschlaggebend für die Wahl des Kunstwerks. Immer wieder hätten die Kunstschaffenden die Motive zu einem grossen Ganzen zusammengesetzt, an die Wand geklebt und wieder neu kombiniert, erzählte Genossenschaftsmitglied Kim Zumstein an der Vernissage der Ausstellung. Wie ein Wimmelbild mute dasGemälde nun an, mit jedem Blick entdecke man ein neues Detail.

Doch selten ist ein Kunstwerk so vergänglich wie dieses hier. Das muss an diesem Montagmorgen auch der anwesende Protoplastiker erfahren. Die Betreiber des Restaurants nutzten die Zeit zwischen den Jahren für eine Renovation, das Haus soll wieder frischer daherkommen.

Benjamin Kammüller von der Genossenschaft Manger sitzt auf einer Holzbank vor einer Wand mit buntem Wandgemälde und Flaschen in der oberenEcke.

«Du, ich muss dir noch was sagen. Das WC unten wird gestrichen», sagt ihm Kammüller im Gespräch. «Das bedeutet, eure Artefakte werden grausam übermalt.»

Kurz danach sind die Gemüseranken im Untergeschoss schon verschwunden. Wie fühlt sich das an? «Etwas weh tut das schon», sagt der Künstler und lächelt. Das Kollektiv ist sich das kurze Leben seiner Werke gewohnt. Vor einem Jahr hat es am Badischen Bahnhof nachts unerkannt ein Kunstwerk platziert. Nach einer Woche war es weg. «Das gehört dazu», so der Künstler, «wir sind hier eben in der Alltagswelt, nicht im ‹White Cube› eines Ausstellungsraums. Man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen.»

Protoplast Ausstellung im Manger & Boire. Bis 29. März 2025.
Protoplast Ausstellung im Kulturwerk T66. 24. Januar bis 23. Februar 2025. Talstrasse 66, Freiburg im Breisgau.

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Mélanie Honegger

ist Redaktorin im Ressort Kultur & Gesellschaft und berichtet schwerpunktmässig über das Basler Kulturleben.

Expertise und Hintergrund: Mélanie Honegger arbeitet seit 2012 im Journalismus. Sie war mehrere Jahre über freischaffend, bevor sie 2019 bei der «bz» als Redaktorin eingestellt wurde und schliesslich die Leitung des Kulturressorts übernahm. 2023 wechselte sie zur «Basler Zeitung». Sie hat in Basel, Paris und Fribourg Germanistik, Französistik und Europastudien studiert und mit dem Master abgeschlossen.